Stille Wucht

Von der »stillen Wucht des Films« schwärmte die Kritikerin der Zeit über Bal: Das Haus, der Junge, der Wald, die Bienen, die Landschaft – alles sei »auf so physische Weise anwesend«. Maßgeblichen Anteil hatten daran die deutschen Tonleute, die vom Drehort bis zur Mischung die komplette Tongestaltung verantworteten.

Foto: Berlinale

Den »Goldenen Bären« hat in diesem Jahr der türkische Beitrag Bal (Honig) von Semih Kaplanoglu gewonnen. Was man nicht gleich sieht: Die Koproduktion entstand auf der TONEBENE mit einem deutschen Team. ›Bal‹ ist ein Film, der zuerst einmal visuell beeindruckt.

Lange, ruhige und durchkomponierte Einstellungen ziehen die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Was macht da der Ton? Matthias Haeb: Ich finde es interessant, daß Sie so empfinden, daß die Bilder in diesem Film von allem anderen ablenken. Ich selbst sehe das ganz anders: Ein kleiner Junge, der in einer Totalen durch den Wald läuft, ist ein kleiner Junge, der durch einen Wald läuft. Erst die Geräuschkulisse macht daraus einen ängstlichen Jungen, der durch einen bedrohlichen Wald läuft. Ich halte Bal für ein Paradebeispiel für einen sehr ton-betonten Film. Gerade weil die Bilder wie gemalt sind und der Film ohne Musik und fast ohne Dialog daherkommt.

Ein Film ohne Musik ist ja eher ungewöhnlich. War das eine besondere Herausforderung? Tobias Fleig: Es gibt nicht eine Musik im Film, nicht einmal für den Abspann das war für mich als Sounddesigner und Mischtonmeister eine tolle Chance und große Aufgabe. Wir haben daher versucht, die Tongestaltung musikalisch zu behandeln und aus Waldgeräuschen, Vogelrufen und Schritten einen eigenen Rhythmus zu komponieren.

Wie kommt es, daß bei einer türkischen Produktion ein deutsches Team die Tonspur komplett übernommen hat? Matthias Haeb: Das liegt zunächst mal an der Koproduktionsförderung. Die Filmstiftung NRW hat den Film ja unterstützt, ein Teil der Arbeit muß also im Land erfolgen. Das ist in diesem Fall verständlicherweise die Postproduktion. Sie waren aber als Settonmeister schon beim Dreh in der Türkei dabei. Matthias Haeb: Das liegt unter anderem daran, daß es dort kaum Filmtonleute gibt. In der Türkei wird sehr wenig mit Originalton gearbeitet, in der Regel wird komplett nachsynchronisiert – einschließlich der Dialoge. Wie gut ist ihr Türkisch? Matthias Haeb: Gar nicht vorhanden. Aber ich habe auch schon zwei Filme in Georgien gemacht, die Sprache beherrsche ich auch nicht. Schwieriger ist das für den Boomoperator, der einfach ein Gefühl für den Rhythmus haben muß, wenn er bei Dialogen den Ton angelt. Mit Raphael Kempermann hatte ich so schon in Georgien gearbeitet.

Für das Drehteam war das sicherlich eine ungewohnte Situation. Wie war das Arbeiten für die Tonabteilung in Deutschland? Tobias Fleig: Bei der Tongestaltung ist mir Semih Kaplanoglu, der Regisseur von Bal, nicht von der Seite gewichen, so daß wir jede Szene in engster Zusammenarbeit erstellt haben. Natürlich gab es Übersetzer, dennoch traten Verständigungsschwierigkeiten auf, da Semih ein hohes Niveau an künstlerischer Auseinandersetzung forderte. Wir haben uns dabei sehr gut ergänzt und eine feine Balance zwischen Vielschichtigkeit und Reduktion im Ton gefunden.

Worauf kam es an? Tobias Fleig: Die Bilder nicht zu überfrachten und sich mit der Tongestaltung an die Grenze zu bewegen, die zwischen Glaubwürdigkeit und Märchenwelt verläuft. Für diese Glaubwürdigkeit ist der Originalton natürlich sehr wichtig. Matthias Haeb: Alles, was ich in dem fremden Land an Originalton nicht herstellen kann, fehlt hinterher und kann nur, wenn überhaupt, mit viel Aufwand nachgebaut werden. Das sieht das Budget in Deutschland aber nicht vor. Die Bienen, die spielenden Kinder, die auf dem Festival gespielte Musik, gesprochene Dialekte, die ganze Atmosphäre eines abgelegenen Dorfes in den Bergen gibt es nur da. Bei einem solchen Dreh steht die eigene künstlerische Entfaltung hinten an, vornehmlich muß man Töne »sammeln«. In der Türkei ist das aber, wegen der traditionellen Nachvertonung, schwierig. Regieassistenz und Produktionsorganisation haben da aus meiner Sicht erhebliche Defizite – wenn etwas hintangestellt wird, ist das der Ton. Um schnell und flexibel zu sein, hatte ich einen kleinen, selbstgebauten Surround-Rekorder zusätzlich im Einsatz. Tobias Fleig: Das war Gold wert, denn diese Töne bilden die Basis für die dichte Gestaltung der Atmosphären im Film.

Lesen Sie ein Drehbuch vorab mit dem Blick in diese Richtung? Läuft da eine komplette Tonspur ab? Tobias Fleig: Ja sicher, das ist eine gute Möglichkeit, sich schon vor der Filmentstehung einzubringen. Ich habe natürlich eine Vorstellung und auch viele Ideen, aber das fertige Ergebnis ist doch ein sehr komplexer Prozeß und wird durch viele Hände geprägt. Matthias Haeb: Ich versuche schon, mir den ganzen Film vorzustellen. Bal war in dieser Hinsicht hervorragend, das Drehbuch arbeitete schon mit Geräuschbeschreibungen: »Der Junge läuft in den Wald. Neben dem Zwitschern von unzähligen Vogelarten hört man auch schauderhafte Geräusche. Stimmen von Eulen, das Heulen von Schakalen, Knistergeräusche von nicht zu sehenden Lebewesen im Wald, Flügelschläge, die sich von Baum zu Baum bewegen, unheimliche Echos aus der Tiefe des Waldes...« oder »All diese Geräusche, das Geheule, klingen wie der Atem des Waldes.« »Der Atem des Waldes«. Was denkt da der Tonmeister? Tobias Fleig: Eine sehr poetische und abstrakte Formulierung, die den Anspruch, der an uns gestellt wurde recht deutlich macht. Matthias Haeb: So etwas findet man selten am Drehort, wenn das ganze Team herumsteht. Da muß man auch außerhalb der Drehzeit mal in den Wald fahren, sich nach der Zeit der Tiere richten und suchen. Bis man die Stimmung, die Atmosphäre einfängt, die einem vorschwebt. Und dann hoffen, daß der Regisseur das auch so hört.

In ›Bal‹ sind dennoch die Bilder sehr dominant. Was macht man da mit dem Ton? Versucht man dagegenzuhalten? Nimmt man sich zurück, paßt sich an?Tobias Fleig: Wir haben in der Regel miteiner Vielfalt von Tönen begonnen, die wir nach und nach durch Reduktion immer weiter pointierten und zu einer Essenz verdichteten. So wie auch inden Bildern beschränkt sich der Ton auf das Wesentliche. Der Prolog des Films – Vater tritt auf, klettert auf einen Baum und stürzt ab – wurde ohne Originalton gedreht und ist erst durch unheimlichen Aufwand zum Leben erwacht. Ich glaube, daß nur eine gelungene Verflechtung von Ton und Bild das von Ihnen beschriebene Gefühl hervorrufenkann. Matthias Haeb: Manche Regisseure achten stark auf den Ton. Semih ist so jemand, auch wenn er für meinen Geschmack zu wenig auf den Originalton achtet. Seine Vorstellung davon, wie man zu einem guten Ton kommt, war völlig anders, als der von den deutschen Produzenten, dem Mischtonmeister und mir ausgearbeitetem Workflow. Darauf mußten wir kurzfristig reagieren. Die unterschiedliche Herangehensweise von Regie und Produktion fängt schon bei der Motivbesichtigung an: Manche sehen toll aus, sind aber für den Tonhintergrund nicht geeignet. Tobias Fleig: Ja, wir hatten teilweise Probleme mit dem Originalton, weil an den Drehorten immer ein Fluß in der Nähe war. Im Bild nicht zu sehen, war das ständige »Gerausche« im Ton sehr störend, und wir haben daher beschlossen, den Fluß generell loszuwerden, was teilweise sehr aufwendig war. Dies war nur möglich durch die Vielfalt der von Matthias und Raphael aufgenommen Töne.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Tonteam? Besprechen Sie sich vorab? Matthias Haeb: Manchmal gar nicht, und das gefällt mir auch nicht. Mit Tobias Fleig und Heimatfilm, hier bei Bal, habe ich sehr eng zusammengearbeitet. Schon während des Drehs. Das hat mir gefallen. Und es ist auch vieles von meinen Aufnahmen im Film dringeblieben. Tobias Fleig: Unsere enge Zusammenarbeit war sicher ein Wegbereiter für dieses schöne Ergebnis. Interview: Peter Hartig